"Ein Theater ohne Kontakt mit dem Publikum ist ein Nonsens." Bertolt Brecht
Ansätze zur Veränderung des etablierten Theaters kamen sowohl von Theatermachern_innen wie z.B. Brecht und Boal als auch von Pädagogen_innen/Therapeuten_innen wie z.B. Moreno. Ihnen gemein ist das Interesse an einer verstärkten Interaktion des Publikums mit den Schauspielenden bis hin zur völligen Auflösung einer Trennung von Bühne und Zuschauer_innenraum – das Publikum soll zum Akteur werden. Der Schrei nach einem neuen Theater, ist der Schrei nach einer neuen Gesellschaftsordnung.
„Theater braucht eine permanente Revolution.“ (Peter Brook)
„Theater ist Teil der Revolution“ (Bertolt Brecht)
„Theater ist die Revolution“ (Augusto Boal)
„Für ein neues Theater ist eine Befreiung der Kultur notwendig.“(Jacob Levy Moreno)
„Theaterspiel als Befreiung der schöpferischen Kraft.“ (Keith Johnstone)
Durch den Rückzug vom öffentlichen Platz hin zum geschlossenen Raum und somit zur klassischen Guckkastenbühne hat das Theater entscheidende Möglichkeiten seiner kommunikativen Ausdruckskraft eingebüßt und lädt weniger zu einer sinnlichen Erfahrung als zu einer kognitiven Erkenntnis ein. Die typischen Theaterbesuchenden heute blicken schweigend, nur dann und wann verschämt hüstelnd, der Sitznachbarin höflich zunickend, ernst zuweilen angestrengt von einem hohen Rang auf kleine, gestikulierende Figuren hinunter, bei denen die Details in ihren Gesichtszügen ein Geheimnis bleiben. Doch Theater ist das, „was zwischen Zuschauer und Schauspieler stattfindet“ (Grotowski: 205) und die Distanz zwischen Bühne und Zuschauer_innenraum verbietet. Als Gegenpol zu den Medien mit ihrer inflationären Dramatisierung täglicher Sensationen, braucht das Theater keine Erhöhung von Gegebenheiten zeigen, sondern kann sich um die Vertiefung menschlicher Bedürfnisse, Ängste, Sehnsüchte, Fragen bemühen. So bietet es dem Individuum die Chance, es in seiner Wahrnehmung zu schulen und für verdrängte Bereiche zu sensibilisieren. Insbesondere das Theater als DAS sozialkommunikative Medium ist immer ein Produkt gesellschaftlichen Handelns und entsteht aus dem menschlichen Bedürfnis nach spielerisch-symbolischer Bewältigung sozialer Konfliktstoffe. Dieses passiert nur in der direkten Konfrontation zwischen Zuschauenden und Schauspielenden, bei einem Theater, bei dem das Publikum „nur eine Armeslänge vom Schauspieler entfernt ist, seinen Atem spüren kann, seinen Schweiß riecht.“ (Grotowski: 32).
„Theater entfaltet sich (...) erst in der vielschichtigen Interaktion zwischen Spielern und Zuschauern. Es braucht inspirierendes Spiel und inspiriertes Publikum (...).“ (Weintz: 173)
Durch die Idee einer räumlichen und kommunikativen Nähe zwischen Spielenden und Publikum motiviert, begab sich Grotowski auf die Suche nach Spielorten außerhalb des Theaterhauses, nach öffentlichen Räumen, die diese direkte Konfrontation zuließen. Beispiel dafür war seine Inszenierung in einer psychiatrischen Klinik, in der die Zuschauenden auf Etagenbetten saßen und wie Patienten behandelt wurden, wobei gleichzeitig die Krankenbetten als Podien für die Spielaktionen dienten. Grotowskis Theaterverständnis hat schon immer einige Theatermacher_innen dazu inspiriert, nach interessanten Spielorten außerhalb des Theatergebäudes zu suchen und dort zu inszenieren. Doch vielfach ist zu beobachten, dass die Bespielung öffentlicher Orte als pures Theaterspektakel aufgemacht ist und wenig mit der Grundidee der kommunikativen Nähe zwischen Spielenden und Publikum gemeinsam hat.
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